Das Tor der Morgenröte
Zu Beginn des 16. Jahrhundert wurde Wilna auf gemeinsamen Beschluss des Bischofs der Stadt und des Stadtrats mit einer Stadtmauer befestigt. Bereits im Oktober 1503 konnte der Bischof die Mauer, die die gesamte Stadt umfasste, festlich einweihen.
Das Spitze Tor selbst wurde von 1503-1522 im gotischen Stil erbaut, zusammen mit 5 weiteren Stadttoren (insgesamt erhielt die Stadt neun Tore). Einige Jahre nach der Fertigstellung des eigentlichen Tores kamen über dem Torbogen eine Fassade mit fünf Schießscharten und ein Toraufbau im Renaissance-Stil hinzu, der heute von der "Vytis", dem Wappen des Großfürstentums Litauen, geziert wird.
In den Jahren 1621-1626 entstand unmittelbar neben dem Tor, auf der Stadtseite, ein Karmeliter-Kloster. Im Jahre 1652 kam die Ikone der Barmherzigen Muttergottes nach Wilna und wurde im Spitzen Tor untergebracht. Eine eigene Kapelle stand zu dieser Zeit noch nicht zur Verfügung, es gab lediglich Fensterläden, die das Heiligenbild gegen Regen schützten. Im Jahre 1671 jedoch schufen die Karmelitermönche über dem Torbogen eine hölzerne Kapelle eigens für die Ikone. Bei einem Brand im Jahre 1706 blieb die Kapelle unversehrt. Doch schon 1715 zerstörte ein weiterer Brand fast die gesamte Stadt, einschließlich der hölzernen Kapelle. Deshalb wurde 1722 eine neue, steinerne Kapelle errichtet, die seither mehrfach umgebaut und restauriert wurde: zuletzt vor dem Besuch von Papst Johannes Paul II. in Litauen im Jahre 1993. Seit dem letzten Umbau aus den Jahren 1830-40 ist die Kapelle im Tor der Morgenröte eine geschlossene Galerie mit Zugang zur Kirche der Hl. Theresa.
Die Ikone der Barmherzigen Muttergottes zählt in Litauen zu den bedeutendsten Heiligtümern. Sie gilt als wundertätig und ist eine der seltenen Abbildungen der Madonna ohne Kind.
Wer genau die Ikone schuf, ist nicht bekannt. Sie wird von manchem dem Krakauer Meister Lukasz zugeschrieben, der 1624 ein ähnliches Heiligenbild für die Krakauer Fronleichnamskirche malte. Es gibt jedoch auch andere Versionen zur Herkunft der Ikone, so zum Beispiel die, dass der Großfürst Olgierd die von der Krim mitgebracht haben soll.
Eine erste wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahre 1927 ergab, dass das Heiligenbild aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt, wahrscheinlich von einem italienischen Meister.
Die Ikone (165 x 200 cm), die auf 2 cm dicken Eichenholzplatten gemalt wurde, erhielt 1671 ein goldenes Gewand, so dass nur noch das Gesicht der Muttergottes und ihre Hände zu sehen sind. Der silberne Halbmond unterhalb der Madonnenfigur ist eine Votivgabe aus dem Jahre 1849.
Auf dem Kopf trägt die Muttergottes 2 vergoldete Kronen aus Silber, wobei die eine auf der anderen aufsitzt. Eine davon ist im Barockstil gestaltet, die andere im Rokoko-Stil. Die feierliche Krönung der Ikone erfolgte 1927 nach einem Dekret von Papst Pius XI. in Anwesenheit hochgestellter Vertreter des Klerus und des polnischen Präsidenten Józef Piłsudski. Seit 1928 befindet sich die Ikone in einem eigens für sie angefertigten Schutzbehältnis.
Am 4. September 1993 betete hier Papst Johannes Paul II